4. August 2023
In drei Tagen geht es los und all meine Koffer für die Reise nach Singapur liegen noch im Keller. Es kribbelt jetzt wirklich heftig. Die meisten Verabschiedungen haben stattgefunden. Glücklicherweise müssen nach wie vor viele kleine Dinge erledigt werden. Das lenkt ab.
Hätte es nicht gedacht, aber Auswandern, wenn auch bloss für drei oder vier Jahre, kann sehr aufwendig sein. Könnte dazu jetzt glatt ein Handbuch für Leidensgenossen schreiben. Wie auch immer, die Vorfreude überstrahlt alles. Ich kann es jedenfalls kaum erwarten, die vor zwei Wochen vorausgereiste Ehefrau wieder in die Arme zu schliessen. Als ich noch klein war, nahm jeweils der Mann irgendwo einen Job an und seine Partnerin zog ohne mit der Wimper zu zucken einfach mit um – bei uns ist es nun halt umgekehrt.
7. August 2023
Am Gate. Boarding. Einige drängeln, keine Ahnung weshalb. Niemand fragt nach Flugscham. Bin kein Klimakleber, kann nicht auf dem Landweg nach Singapur, auf dem Wasser ist es nicht umweltfreundlicher – also gehe in die Luft, im positiven Sinne. Es wird immer verrückter: Jetzt kann man selbst auf über 10'000 Meter mit der Erde kommunizieren. Links vorne tippt ein Teenager schier pausenlos wie wild auf seinem Handy herum. Landung wie geplant 5.54 Uhr am Changi Airport.
9. August 2023
Heute, am Nationalfeiertag, geht hier gewaltig die Post ab – es war der 9. August 1965, als das kleine Land nach einer wechselvollen Geschichte seine Unabhängigkeit erklärte. Bin gespannt, was da noch abgeht. Dürfte ein Riesengedränge geben. Militärparade, multikulturelle Gesangs- und Tanzdarbietungen sowie Luftshows stehen auf dem Programm.
Ganz anderes Thema: Das Kaugummiverbot gilt seit 1992, also werden keine solche Dinger verkauft und einführen solltest auch keine. Noch ein kleiner Tipp: In der U-Bahn trinken und essen solltest du dann auch nicht. Klar, nicht alle Regeln sind für uns nachvollziehbar. Das Positive: Alle, wirklich alle halten sich daran und dadurch funktioniert der 5,5-Millionen-Stadtstaat mit unterschiedlichsten Kulturen reibungslos.
12. August 2023
Klimatisiert wird überall. Nicht selten wird übertrieben. Das mündet in einem Wechselbad von schwitzen und frieren. Im öffentlichen Raum bist du dem ausgesetzt, doch die privaten Räume verfügen über Ventilatoren und unabhängige Klimageräte in jedem Raum. Das Regulieren hast damit im Griff. Zu Hause laufen die Dinger wirklich nur punktuell. Oft geht ein angenehmes Lüftchen. Eigentlich unverständlich: Die Klimaanlagen könnten überall problemlos zwei bis drei Grad weniger Kälte produzieren. Damit könnte Singapur den ökologischen Fussabdruck ohne jeglichen Komfortverlust reduzieren. Bin von Bekannten inzwischen schon ein paarmal gefragt worden, ob ich ein asiatisches oder ein europäisches Auto gekauft habe. Weder noch und auch kein anderes. Daran wird sich auch nichts ändern, denn es ist schlichtweg nicht nötig. Und zudem wäre es sehr kostspielig.
23. August 2023
Der Stadtstaat Singapur ist flächenmässig inzwischen fast so gross wie der Kanton Solothurn. Dies dank permanenten Landaufschüttungen über einen längeren Zeitraum. Sie entsprechen inzwischen fast dem Umfang der Fläche des Kantons Genf. Der öffentliche Verkehr ist hervorragend ausgebaut. Auf die U-Bahn rennt kein Mensch: Nicht nur wegen der hohen Temperatur, sondern weil beinahe im Minutentakt die nächste Komposition anrollt. Das grossflächige MRT-Netz (Mass Rapid Transit) wird durch ein weitverzweigtes Busnetz geschickt ergänzt. Und wenn beides nicht passt, kurven für wenig Geld unzählige Taxis herum. Auffällig, bei den bisherigen Busfahrten bin ich noch nie einem Verkehrsstau begegnet, dafür jeder Menge Luxuskarossen. Also von röhrenden Ferraris über stolze Aston Martins bis zu majestätischen Bentleys: alles – von den vielen deutschen Edel-Limousinen nicht zu reden. Hierliegt das viele Geld nicht bloss auf der Strasse. Sichtbar ist dies auch bei exklusiven Häusern, Einkaufsgeschäften für obere Ligen, gestylten Passanten und edlen Restaurants. Der Singapur-Dollar scheint in manchen Kreisen gewaltig zu rollen. Doch es gibt auch das Singapur der unzähligen Gastarbeiter, sprich hilfreichen Geister, die den Alltag erst richtig in Schwung halten. Über diese Schere und das gesellschaftliche Leben ist an dieser Stelle noch längst nicht das letzte Wort geschrieben.
30. August
In Singapur leben derzeit rund 2600 Schweizer. Das sind gut satte 1000 weniger als vor Corona. Dieser pandemiebedingte Schwund bedeutet jedoch nicht, dass der innovative, permanent vorwärtsstrebende Finanz-, Bildungs- und Technologieplatz in der Schweiz an Bedeutung und letztlich auch an Reiz verloren hat. Abgesehen von den Bankinstituten fallen gleich mehrere Schweizer Bildungsstätten auf, die hier einen Campus betreiben. Allen voran das Singapore Centre der ETH Zürich mit seinen über 300 rund Forschern aus 20 Nationen. Präsent sind zudem die HSG St. Gallen, die Hotelfachschule Lausanne, die private Wirtschaftshochschule IMD und last, but not least die bereits 1967 gegründete Schweizerschule. Eine der 18 vom Bund geförderten Primar- und Sekundarschulen im Ausland.
Die Beziehungen der beiden Länder sind jedoch weit geschichtsträchtiger. Herrlich, was Eidgenossen einst in die Wege leiteten: Vertreter von Schweizer Handelsgesellschaften in Südostasien machten sich grosse Sorgen bezüglich des Abschneidens bei Schiesswettbewerben in ihrer alten Heimat. Sie gründeten in Singapur einen Club und kauften kurzerhand Land – sehr viel Land –, um ungestört üben und danach unbeobachtet etwas trinken zu können. Das war vor mehr als hundert Jahren. Die damals abseits gelegenen Parzellen sind mittlerweile Teil der begehrtesten Wohngegend. Der heutige Swiss Club ist dank der treffsicheren Vorfahren einer der grössten ausländischen Landbesitzer. In jeder Hinsicht ein Volltreffer also. Davon profitieren inzwischen unter anderen die Schweizer Botschaft und die Schweizerschule, die sich in der idyllischen Oase niederlassen konnten. Wer nicht gerade schwimmt, schiesst heute im Swiss Club lediglich noch Tennisbälle übers Netz. Im Gästehaus übernachten regelmässig mehr oder weniger prominente Besucher aus der Schweiz. Und im Restaurant soll es schon vorgekommen sein, dass man dem Staatspräsidenten Singapurs begegnet. Was nicht weiter verwunderlich ist, wohnt er doch an der Strasse, die den Namen des Clubs trägt.
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