November 2023

Winterkleidung im Tropenparadies... wie geht denn das - die Erklärung ist einfach
Winterkleidung im Tropenparadies... wie geht denn das - die Erklärung ist einfach
Gigantische Einkaufsmeile Orchard Road - nicht nur eitel Sonnenschein
Gigantische Einkaufsmeile Orchard Road - nicht nur eitel Sonnenschein

 

 

3. November 2023

 

Orchard Road zum Ersten: Die gigantische, schier endlose Einkaufsstrasse Singapurs morgens um 11 Uhr. Noch ist nicht Stosszeit. Zum Glück, sonst wird’s auf den Gehwegen unangenehm eng. Faszinierend – hier die einladende Lucky Plaza, ein mehrstöckiges Labyrinth mit zig kleinen Geschäften. Wie der Name suggeriert, gibt’s im Gewusel tatsächlich Freizeitkleider bereits für ein paar Franken. Unmittelbar daneben das markante Rolex-Building mit Schildern, die das Verweilen auf dem Vorplatz verbieten.

 

Ein Blick in die Runde: Wirklich jede schillernde Weltmarke, die etwas zum Anziehen oder Umhängen anbietet, ist hier präsent. Völlig schräg und auf Anhieb unverständlich: Zurzeit werden überall Winterkleider angeboten, also alles von dicksten Jacken bis zu Handschuhen. Wer kauft denn in den Tropen so was? Einheimische, die in den Winterferien Singapur zuhauf verlassen und nordwärts in die Kälte fliehen – im Gegensatz zu Expats, die es an die Strände von Indonesien oder Thailand zieht. Mit Bestimmtheit auch nicht zu den Käufern zählen Tausende knapp gehaltene Wanderarbeiter und Hausangestellte, die ihren freien Sonntag oft gruppenweise in den Grünanlagen der Tropenstadt verbringen.

 

 

8. November 2023

 

Orchard Road zum Zweiten: Die Shoppingmeile ist das ideale Umfeld für ein Schweizer Genussmittel, das im Heimatland regelmässig um seinen Ruf kämpfen muss: Läderach. Ganz einfach ist die Filiale an der Orchard Road nicht zu finden. Draussen Sauna, innen Kühlschrank. Endlich, im zweiten Untergeschoss eines edlen Einkaufszentrums, der aufgeräumte Stand. Keine Sicherheitsleute. Ins Auge sticht dagegen die Tafel: «Queue for Frisch-Schoggi starts here».

 

Eine der beiden einheimischen Verkäuferinnen verweist smart auf das Angebot und erklärt, dass das Geschäft sehr gut laufe. Mit Stolz fügt sie an, dass Läderach in Singapur gleich an vier Standorten vertreten sei. Nein, von Diskussionen rund um die Marke respektive die Besitzerfamilie habe sie noch nie etwas gehört. Eine Frage noch: Schoggi und tropische Hitze vertragen sich schlecht. Also, wie retten die Käufer die Süssigkeiten über die Runden? Das sei kein Problem, Läderach-Schoggi halte dem Klima zwei Stunden stand. Sehr optimistisch. Nun, so lange dauert der Weg zur nächsten kühlenden U-Bahn oder zum Taxi eh nie. Augenschein am selben Tag in der Läderach-Filiale am Changi-Airport, dem wichtigsten Hub in Südostasien. Auch hier business as usual. Wen wundert’s, zwischen den kritischen Redaktionsstuben der Schweiz und Singapur liegen über 10000 Kilometer. Nachtrag zur Shopping-Mania: Mehrstöckige Zentren gibt’s schier an jeder Ecke. Eine gigantische Kommerzwelt, mit offenbar unstillbarer Nachfrage. Ein Tipp: sich niemals am Samstag oder Sonntag dorthin verlaufen. Selbst Menschen ohne Platzangst könnten sich im Gedränge unwohl fühlen.

 

 

 

10. November 2023

 

Montag gibt es einmal mehr einen Public Holiday, einen freien Arbeits- und Schultag, in ganz Singapur. Zu verdanken ist er den mehrtägigen Deepavali-Feierlichkeiten. Dem beeindruckenden, farbenfrohen Lichterfest der Hindus. Für sie ist das wie Weihnachten und Neujahr zusammen. Die Wohnungen werden zuvor gründlich gereinigt. Das Kochen und Zusammensein stehen im Mittelpunkt. Tausende Lichter in ihren Häusern, Läden und auf den Strassen Little Indias siegen dabei über die Dunkelheit. Das Böse unterliegt dem Guten. Danach im Dezember gibt es erneut Freitage für alle, kommen doch unsere Weihnachtsfeierlichkeiten und nach dem Jahreswechsel die mehrtägigen Feiertage rund ums chinesische Neujahr. Ein friedliches Mit- und Nebeneinander der unterschiedlichsten Kulturen und ihren Religionen auf engstem Raum. Es zeigt auf, wie das hier funktioniert. Es zeigt, was Menschen können, wenn sie wollen.

 

 

 

20. November 2023

 

Singapur ist kein Sozialstaat nach helvetischen Vorstellungen. Gleichzeitig ist es ein ausgesprochen teures Pflaster. Die Arbeitslosigkeit ist auf dem Niveau der Schweiz. Was heisst das im Alltag? Der Staat hat ein wachsames Auge auf den sozialen Frieden seiner bunt gemischten Bevölkerung. Kein leichtes Unterfangen, bei dem enormen Wohlstandsgefälle. Wenn nötig, wird reguliert und konsequent durchgesetzt. Die reiche Oberschicht ist gross. Die schaut für sich, wie überall auf der Welt. Die Arbeitsbedingungen der normalen Singapurer sind härter als in Europa. Auf der anderen Seite profitieren die Einheimischen zum Beispiel vom staatlich geförderten Wohnungsbau. Und sollte es einmal eng werden, existiert das Fangnetz Familie. Asiaten bilden Gemeinschaften. Das Individuum ist Teil davon und nicht umgekehrt. Armut auf den Strassen, wie in den grossen Städten der USA, sieht man hier keine.

 

Ohne die 1,4 Millionen ausländischen Wanderarbeiter würde der Alltag in Singapur nicht funktionieren. Sie stammen mehrheitlich aus Bangladesch, Myanmar, Südindien oder den Philippinen und führen ein ausgesprochen hartes Leben. Sie arbeiten auf dem Bau, im riesigen Hafen oder in Haushalten. Die soziale Absicherung dieser Arbeitsmigranten besteht lediglich aus einem Lohn, der mindestens fünfmal höher ist als in ihrem Herkunftsland, sofern sie dort überhaupt Arbeit hätten

 

 

 

 

24. November 2023

 

Ein Blick auf die Zugehörigkeit zu den Ethnien der Staatsbürger und solchen mit Aufenthaltserlaubnis hier in Singapur lässt keinen Interpretationsspielraum offen. Die Zahlen stammen aus dem vergangenen Jahr. Geändert haben wird sich nicht viel. Sie sind beeindruckend: 74,1 Prozent sind Chinesen. 13,6 Prozent Malaien, 9 Prozent Inder und den Rest teilen sich andere. Apropos Malaien, ich war mit dem Velo in Malaysia. Würde ich das aus Solothurn schreiben, müssten alle ob der Leistung den Hut gleich mehrfach ziehen. Startete jedoch beinahe vor der Haustüre des Nachbarstaats. Die Strecke hin und zurück ab der Wohnung beträgt knappe 30 Kilometer. Ich gebe es zu: Gerade genug bei 32 Grad und hoher Luftfeuchtigkeit, was zu einer gefühlten Temperatur von 37 Grad führt. Aber die Route ist erste Sahne. Ihr Name: Green Corridor. Der Name ist Programm. Weitgehend ein Dschungelweg vom Meer hinauf zur Brücke, die hinüber nach Johor Bahru führt, der Grenzstadt nördlich von Singapur. Auf beiden Seiten des Meerarmes befinden sich Checkpoints, die problemlos passiert werden können. Der Grenzverkehr ist rege. Neben pendelnden Arbeitskräften sind es nicht zuletzt Einkaufstouristen, die von den massiv günstigeren Preisen in Malaysia profitieren wollen.

 

Die Beobachtungen an den Grenzregionen der Schweiz lassen grüssen. Die Fahrt auf dem Green Corridor (aufgepasst, auch hier gilt Linksverkehr) ist nicht allein für Velofahrer ein Erlebnis. Flott rollend begegnet man durchaus tappenden Fussgängern und keuchenden Joggern. Massenandrang herrscht keiner. Über weite Strecken ist ausser fliehenden Waranen und kopfschüttelnden Affen keine Menschenseele zu sehen. Für Eisenbahnfreunde interessant ist bestimmt der Abschnitt Rail Corridor. Auf der stillgelegten Bahnstrecke gilt es Stahlbrücken zu passieren und schliesslich taucht im Grüngürtel eine kleine, aber feine Bahnstation auf.

 

 

 

29. November 2023

 

Mit dem Lebensmittelpunkt hat sich bei mir auch die Erlebniswelt verschoben. Die Sichtweise wird globaler, die Sachverhalte erscheinen komplexer als zuvor aus der Froschperspektive eingestuft. Vermeintlich unverrückbare Standpunkte geraten ins Wanken. Ein Blick in die heutige «The Straits Times». Das ist die englischsprachige, auflagenstärkste Tageszeitung Singapurs mit regionaler Ausstrahlung, deren Gründung auf das Jahr 1845 zurückgeht. So britische Quellen. Die sollten es wissen, wurde Singapur doch 1824 Teil des British Empire, 1867 zur Kronkolonie. Seit 1965 unabhängig und wirtschaftlich äusserst erfolgreich, schaut sich der Stadtstaat permanent nach Partnerschaften um (Kooperation auf Augenhöhe, nicht Kniefall).

 

So ist der Premierminister mit dem Präsidenten der Vereinigten Arabischen Emirate in Abu Dhabi zusammengekommen. Zwei kleine, wirtschaftlich starke Staaten, die von muskelspielenden, grossen Nachbarn umgeben sind. Beim Besuch im Emirat wurde nicht bloss unverbindlich Tee getrunken, sondern ernsthaft über eine grüne Wirtschaft, Dekarbonisierung und Nahrungsmittelsicherheit gesprochen (da in beiden Ländern das meiste importiert werden muss). Angetrieben von Singapur stehen jetzt zudem die Themen Bildung, digitale Technologien und natürlich der Handel zur Diskussion.

 

 

30. November

 

Ein anderes, heikles Thema, Haze. Gemeint ist der Rauchsmog, der das strahlende Tropenleben in Singapur zuweilen eintrübt. Nicht zu verwechseln mit dem Abgasnebel, der durch übermässigen Strassenverkehr entsteht. Ist hier kein Problem, da im Unterschied zu anderen asiatischen Grossstädten die Anzahl limitiert ist und durch teure Lizenzen geregelt wird. Anders eben Haze – eine Belästigung, die importiert wird. In Malaysia und Indonesien brennen Bauern zur Bewirtschaftung Felder ab, und noch gravierender sind Brandrodungen in den Wäldern. Das sind keine kleine Gartenfeuerchen. Die Rauchwolken sind vielmehr auf Satellitenbildern sichtbar. Jetzt sind wir nochmals davongekommen: Eine Regenperiode und günstige «El Niño»-/«La Niña»-Strömungen haben das Unheil ordentlich gewaschen und weggeblasen.

 

 

Die Firma Läderach in der Schweiz kritisiert, hier ungeachtet dessen sehr erfolgreich
Die Firma Läderach in der Schweiz kritisiert, hier ungeachtet dessen sehr erfolgreich

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