1. Dezember 2023
Ein Phänomen: Die Sinne werden durch Erlebnisse immer wieder von neuem wachgekitzelt, obwohl man sie zum wiederholten Mal wahrnimmt. Ein Beispiel: Übel-grauer Novembertag im Schweizer Mittelland. Durchstossen der Nebeldecke. Tiefblauer Himmel, Sonnenschein. Grandioses Nebelmeer! Oder gerade gestern. Singapur, Stadt der kolossalen Gegensätze: Hier keck himmelstürmende Bankentempel, dort demütig himmelverbundene Gebetstempel. Nachbarn, die Welten auseinanderliegen. Gehst man durch Little, wandelt man in Indien. Kein Ballenberg, hier herrscht Alltag. In völlig andere Weltgegenden tauchst in der Arab-Street oder in Chinatown ein. Auch hier die verspielte Architektur, die fremden Gerüche, die freundlichen, geschäftstüchtigen Menschen. Dieser Mix beschert jedem Besucher unweigerlich eine Portion Leichtigkeit. Alles ist natürlich entstanden und friedlich zusammengewachsen. Kein Wunder, blinzelt immer irgendwo ein Wolkenkratzer hervor. Einfach faszinierend – wie ein Nebelmeer vom Genfer- bis zum Bodensee.
5. Dezember 2023
Es sieht schräg aus. Es fühlt sich schräg an. Es ist ganz einfach schräg. Die Einkaufszentren wetteifern mit gigantischem Einsatz um die grössten und farbigsten Weihnachtsbäume sowie die grellsten Dekorationen. Dies bei viel Sonnenschein und unverändert feuchtheissen Aussentemperaturen. Derweil werden aus der Schweiz Regentage und Kälte gemeldet. Wir nähern uns ja mit Riesenschritten der Adventszeit. Und im Bewusstsein nistet sich der gemeine Gedanke ein: Verabschiede dich von den anregenden, unterschiedlichen Jahreszeiten.
6. Dezember 2023
Die Frauen der Schweizer Unihockey-Nationalmannschaft weilen in Singapur. Nicht, um dem tristen Novemberwetter in der Heimat zu entfliehen. Ihr Ziel ist es, eine Medaille an der Weltmeisterschaft zu erkämpfen. FlurinaMarti, die Leiterin Nationalteams Frauen, liebäugelt im Gespräch vor Ort gar mit der Goldenen. Habe die Bündnerin heute in der Sporthalle der Schweizer Schule interviewt. Abseits vom Trubel der Grossstadt absolvieren der schwedische Trainer Oscar Lundin und die Nati-Spielerinnen gut gelaunt eine Trainingseinheit mit hoch motivierten Schülerinnen und Schülern. Natürlich alle in roten Leibchen mit Schweizer Kreuz. Alle hatten einen Riesenspass. Der Run auf die Autogrammkarten war paninimässig. Die Wettkämpfe dauern vom 2. bis 10. Dezember.
Wie ambitioniert das Team ist, zeigt die frühe Anreise. Die Spielerinnen beziehen dafür Ferientage, Profistatus hat keine. Die tropischen Verhältnisse, Jetlag und die ungewohnte Verpflegung sollen dem hohen Ziel nicht im Wege stehen, so Marti. Die Bündnerin, bis 2021 selber erfolgreiche Spielerin, hat Erfahrung mit Weltmeisterschaften. Sechsmal stand sie auf dem Feld, diesmal fungiert sie zum ersten Mal in der Rolle als Unihockey-Geschäftsleitungsmitglied. Auf die Frage, welche Teams den der Schweiz vor der Sonne stehen könnten, verweist Flurina Marti auf die gegenwärtigen Top-Four: Schweden, Finnland, Tschechien und Schweiz. Trainer Lundin zeigt sich ebenfalls optimistisch. Alle seien fit, die Vorbereitung optimal. Frage an die Marti: Was läuft noch bis zum ersten Spiel? «Derzeit stehen Trainings auf dem Programm, ergänzt von einem Dschungel-Walk und natürlich Erholung. In der zweiten Wochenhälfte ziehen wir in die Stadt um. Dann geniessen die Spielerinnen einen freien Tag und werden wohl die vielfältige Stadt erkunden», so Flurina Marti.
Ich muss schon sagen, eine sehr sympathische Truppe. Zugänglich, absolut keine Starallüren. Kein Wunder, sie sind nicht vom grossen Geld «vercheibet». Leider reichte es am Schluss bloss für die lederne Medaille. Halbfinal gegen Schweden verloren und am Tag darauf auch nicht das Spiel um die Bronzemedaille gegen Tschechien. Den Final gewann einmal mehr Schweden gegen die Finninnen.
7. Dezember 2023
Gehe jetzt doch noch auf die Suche nach einem Adventskranz. Mindestens der Versuch, einen Hauch von Besinnlichkeit herbeizuzaubern. Ein Austricksen der fehlenden klimatischen Zutaten Mitteleuropas. Ruhe und Einkehr vor Weihnachten? Die Wochen vor dem Fest entwickelten sich leider oft zu einem rastlosen Wettlauf gegen die Zeit, der mit hängender Zunge vor dem Tannenbaum endet. Mal sehen und hoffen, ob es hier mit etwas weniger Hektik geht. Die Vorzeichen stimmen jedoch nicht allzu optimistisch.
13. Dezember 2023
Die ETH Zürich unterhält hier ein gewichtiges ETH-Standbein. Gegründet wurde das «Singapore-ETH Centre for Global Environmental Sustainability» im Jahr 2010. Beeindruckend: In diesem Zentrum für ökologische Nachhaltigkeit sind mittlerweile 300 Personen aus mindestens 20 Nationen in 25 Disziplinen engagiert. «Future Cities Lab Global», «Future Resilient Systems» und «Future Health Technologie» bilden die Forschungsschwerpunkte. Das Gemeinschaftsprojekt mit Singapurs Forschungsstiftung ist die einzige ETH-Forschungsstätte im Ausland.
Kurz vor den Festtagen war ein Termin jedoch nicht mehr möglich. Die Reihen lichten sich auch dort, wie überall in internationalen Firmen und Institutionen. Die Menschen fliegen aus. Angesagt sind Heimaturlaub in Neuseeland, Indien, Europa und so weiter. Skifahren in Südkorea oder noch besser Japan. Mein ETH-Kontaktmann, ein Schweizer, verreist in diesen Tagen mit seiner Freundin zu deren Familie nach China. Also noch etwa Geduld. Ich komme auf jeden Fall auf das Thema zurück. Es ist hochspannend, was und wie dort geforscht wird.
20. Dezember 2023
O Tannenbaum und Happy New Year unter Palmen - das suchen etliche Zeitgenossen Jahr für Jahr. Weihnachtsmänner mit Surfbrettern unterm Arm. Skurril werden nicht wenige sagen. Interessant, wie Singapur die offiziellen Feiertage der unterschiedlichen Religionen regelt. Man hält sich an die Flagge der Nation mit ihren fünf Sternen. Sie stehen für Demokratie, Frieden, Fortschritt, Gerechtigkeit und Gleichheit. Gleichheit bedeutet, dass Christen, Muslimen, Hindus und Chinesen jeweils zwei offizielle, staatliche Freitage pro Jahr zugesprochen wurden. Nicht mehr, aber auch nicht weniger. Religion, respektive Kultur für einmal hoch demokratisch. Konsequenterweise und höchst erfreulich, gelten diese acht «public holidays» jeweils auch für die anderen Glaubensrichtungen (hinzu kommen noch drei weitere Feiertage, nämlich der 1. Januar, der Tag der Arbeit und der Nationalfeiertag am 9. August).
Die christlichen zwei Tage sind der Weihnachtstag und der «Good Friday» (Karfreitag). Für die Chinesen, die hier die Mehrheit bilden, ist das Chinesische Neujahr das wichtigste Fest des Jahres. Singapur hat die zwei Tage 2024 auf das Wochenende vom 10. Februar festgesetzt. Die Menschen im Reich der Mitte folgen dem Mondkalender, entsprechend fallen ihre Festivitäten stets auf die Zeit zwischen dem 21. Januar und 20. Februar. In China dauern sie traditionell 16 Tage, was Jahr für Jahr eine regelrechte Völkerwanderung auslöst, die sich nicht auf China beschränkt, wie mein australischer Nachbar mit hochgezogener Augenbraue süffisant kommentiert. Also, falls jemand einen Aufenthalt in Down Under plant, sollte man sich den Zeitpunkt gut überlegen.
Finde, dass dies mit der Gleichbehandlung der Religionen für einen Vielvölkerstaat eine starke Lösung darstellt. Ich denke jetzt überhaupt nicht an Europa in fünfzig Jahren, wenn die Migration ungebremst weitergeht und in Deutschland ein Kalifat entstanden ist.
28. Dezember
Die Altjahrswoche fährt mir immer besonders ein. Habe keine Chance, das Bilanzziehen zu verdrängen. Schon klar, wenn nicht jetzt, wann dann? Nach dem Jahreswechsel wird gleich wieder der Alltag dominieren. Und unweigerlich das Vorwärtsschauen. Ohne gefasste Vorsätze. Die halten der Realität eh nicht stand. Kurzzusammenfassung 2023: Vor einem Jahr zeichnete sich ab, dass es nach Singapur gehen könnte. Eine positive Lebenserfahrung für jedes einzelne Familienmitglied oder eine belastende Zäsur für die Familie als Ganzes? Zusagen oder nicht? Ein weitreichender Entscheid, Folgen nicht absehbar. Danach ging alles schnell. Tausend Vorbereitungen. Ausloggen in der Schweiz, einloggen in Südostasien. Erste Bilanz: Ja, eingelebt. Alltag läuft rund, asiatisch streng. Stimmung meist gut. Nein, längst nicht nur eitel Sonnenschein. Derzeit trüben zum Glück keine schwarzen Wolken die Aussichten auf das kommende Jahr. Entsprechend positiv ist der Blick nach vorne gerichtet.
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