1. Dezember 2024
In Singapur weihnachtet es seit Wochen (s. November-Blog). Vor lauter tollkühn dekorierten XXL-Tannenbäumen sieht man den Wald längst nicht mehr. Unter uns, auch mit der zweiten Weihnachtszeit hier in Südostasen habe ich noch nicht meinen Frieden geschlossen: Als Kurzhöseler in Sandalen und verschwitztem T-Shirt durch das Shopping-Schlaraffenland Orchard Road zu flanieren, umgeben von Heerscharen kaufwütiger Zeitgenossen, ist bereits unter dem Jahr gewöhnungsbedürftig. Wenn dann allerdings noch zur üppigen Weihnachtsdekoration die Nonstop-Berieselung Jingle Bells einsetzt, wird es echt skurril. Die nicht vorhandenen Jahreszeiten werden spätestens dann zu einer echten Herausforderung fürs irritierte Gemüt. Da kommt ein idyllisches Gegenbild aus der alten Heimat gerade recht. Danke Walter.
2. Dezember 2024
Das Vorweihnachtsgeschäft in Singapur boomt gewaltig. Interessant, interessant... in einem Laden von Marks & Spencer wird an vorderster Front mit Schokolade geworben. Ja und? Moment, wohl schon eher überraschend erscheint der Markenname. Auf allen Produkten übergross das Logo "Swiss". Da juckt natürlich die Neugier. Wer und was steckt dahinter, hilft der prominente Aufkleber "Made in Switzerland since 1887" weiter? Des Rätsels Lösung dürfte sein: Chocolat Frey ist ein Schweizer Hersteller von Schokolade. Das 1887 gegründete Unternehmen gehört seit 1950 zur Migros. So die Information, wenn man sich mit entsprechenden Stichworten im Netz umsieht.
4. Dezember 2024
In Singapur dominiert die People’s Action Party (PAP). Entsprechend stellt sie den Premier. Sein Name, Lawrence Wong. Er wird am 18. Dezember 52 Jahre alt. Er ist der vierte Premierminister in der Geschichte des Landes. An der Parteiversammlung im vergangenen Monat kam Wong auf die geopolitische Lage zu sprechen und die Rolle Singapurs im Hinblick auf mögliche Entwicklungen. Seine Botschaft gleich zu Beginn: «Wir müssen in einer zunehmend gefährlicheren Welt vereint bleiben. Denn es herrschen heikle Konflikte, der Wandel ist enorm, es droht Instabilität». Singapur werde als verlässliche, stabile und sichere Nation wahrgenommen. Wichtig sei es deshalb auf der Weltbühne mit einer Stimme zu sprechen, so Lawrence Wong. Er forderte alle Singapurer auf, weiterhin geschlossen am selben Strick zu ziehen. Denn dies mache Singapur so aussergewöhnlich. «Denn wenn wir etwas sagen, wissen andere, dass es sich um einen singapurischen Standpunkt handelt, der von der Regierung konsequent verfolgt und von den Singapurern getragen wird. Alle Welt kann folglich sicher sein, dass wir es ernst meinen - wir schwanken nicht“, schloss Premierminister Wong. Gestern hat er übrigens noch bekanntgegeben, dass er ein verfrühtes "Geburtstagsgeschenk" erhalten habe: Er wurde erstmals positiv auf Corona getestet. Es gehe ihm gut, schob Wong nach.
5. Dezember 2024
Die Bevölkerung Singapurs ist stolz auf ihr Land und gilt als patriotisch. Keine Überraschung also, dass bereits gegen Ende dieses Monats die SG60-Feiern mit spektakulären Events eingeläutet werden. Damit startet der Countdown zum Jubiläumsjahr 2025. Heruntergezählt wird bis zum Höhepunkt am Nationalfeiertag, dem 9. August des kommenden Jahres. Das Motto lautet „Singapur gemeinsam bauen“. Die unzähligen Veranstaltungen sollen bereits im Vorfeld des 60. Geburtstags der Nation dazu beitragen, über deren Werte Multikulturalismus, Mut, Widerstandsfähigkeit und Offenheit nachzudenken.
Die Geschichte und die Entwicklung Singapurs sind hollywoodreif:
Die Kolonialmächte Grossbritannien und die Niederlande rangen bis ins 19. Jahrhundert um die Vorherrschaft in Südostasien. Nicht zuletzt um Singapur, das strategisch einzigartig auf der Handelsroute Europa-China liegt. Singapur wurde schliesslich Teil des British Empire. Im Zweiten Weltkrieg überrannten die Japaner die Engländer in Singapur. Nach Kriegsende übernahmen die Briten erneut die Kolonie. 1963 befreite sich Singapur von den britischen Fesseln. Die Föderation mit dem Nachbarn Malaysia dauerte in der Folge nur kurz. Seit 1965 ist Singapur ein unabhängiger, erfolgreicher Stadtstaat.
6. Dezember 2024
Aber sicher, der Samichlaus kommt auch nach Singapur. Aus seinem verschneiten Wald hat er sich in die Schweizer Schule im tropischen Dschungel aufgemacht. In Vollmontur und nicht etwa in kurzen Hosen. Die Erwartungshaltung in den 16 Klassen war wiederum rührend. Im vergangenen Jahr als Samichlaus, schlüpfte ich dieses Jahr in die Rolle des Schmutzli. Dachte, die sei weniger schweisstreibend. Schon falsch, sie ist deutlich anstrengender. Auf dem weitläufigen, paradiesisch gelegenen Areal fünf Stunden bei 32 Grad und hoher Luftfeuchtigkeit Säcke schleppen, das kommt einem Hawaii-Triathlon gleich. Samichlaus Marco zuckte nicht mit der Wimper. Doch vielleicht habe ich es unter seiner künstlichen Haarpracht auf und im Gesicht bloss nicht gesehen. Immerhin, wir mussten keinen Troublemaker in den Sack stecken und herumtragen. Unser Honorar: Strahlende Kinderaugen, bunte Zeichnungen und je nach Klassenzusammensetzung unzählige Thankyou, Merci sowie Dankeschön. Ganz toll.
8. Dezember 2024
Kommerz à gogo derzeit in allen Shoppingcentren Singapurs und davon mangelt es beileibe nicht. Völlig auf die Spitze getrieben wird die Umsatzbolzerei an der Orchard Road. Als Kontrapunkt eine eindrückliche Lebensgeschichte. Auch sie passt zum Vielvölkerstaat Singapur, aber natürlich auch in die Adventszeit. Im Zentrum steht die Familie des Fischers Irfan. Alles beginnt mit einer Katastrophe und endet mit einem Happyend. Der Einstieg liegt diesen Monat zwanzig Jahre zurück. Schauplatz ist Aceh, die nördlichste Provinz von Sumatra. Gute tausend Kilometer Luftlinie von Singapur entfernt. Die Auswirkungen des grossflächigen Tsunamis vom 26. Dezember 2004 sind auch in dieser Region verheerend. Über 25'000 Menschen sterben. Die Zerstörungen gewaltig. Danach folgen Seuchen und Krankheiten. Hinzu kommen die Kriegshandlungen: Unabhängigkeitsbewegungen stehen schon länger dem Indonesischem Militär gegenüber. Erst nach der Naturkatastrophe schaut die Weltöffentlichkeit genauer nach Sumatra und im Zuge der internationalen Hilfe gelingt es Martti Ahtisaari ein Friedensabkommen durchzusetzen. Ahtisaari bekommt in der Folge den Friedensnobelpreis. Der ehemalige finnische Präsident stirbt am 23. Oktober 2023 86-jährig.
(Fortsetzung folgt)
9. Dezember 2024
Mitten in den Wirren von 2004 versucht auch der Fischer Irfan seine Familie über die Runden zu bringen. Er, seine Frau Raja und sein elfjähriger Sohn Wayan haben enormes Glück und kommen mit Blessuren davon. Im Gegensatz zur achtjährigen Tochter Philia haben sie sich nicht in unmittelbarer Küstennähe aufgehalten. Philia wird wie tausende Andere vermisst. Im Rahmen eines nachbarschaftlichen Hilfsprojekts kommt die Familie in einem Camp auf einer der vielen, Singapurs vorgelagerten Inseln unter. Nach einem halben Jahr können die Drei in eine einfache Stadtwohnung umziehen. Vater Irfan erhält Arbeit im Hafen, Mutter Raja geht putzen und Wayan leidet im Hochhaus vor sich hin, weil er Philia, die Natur und das Meer schrecklich vermisst.
(Fortsetzung folgt)
11. Dezember 2024
Grosser Freudentag acht Monate nach der Katastrophe: Philia wird nach unermüdlichen Nachforschungen von Hilfsorganisationen in einem Krankenhaus in Jakarta ausfindig gemacht. Sie hat knapp überlebt und ist auf dem Weg der Besserung. Die frohe Kunde belebt nicht zuletzt die Lebensgeister des aufgeweckten und vielseitig interessierten Wayan über Nacht. Er lernt und lernt in jeder freien Minute. Nicht bloss die Sprache. Schliesslich kann er studieren. Heute arbeitet er als Ingenieur in einem Startup für Robotertechnologie.
(Fortsetzung folgt)
15. Dezember 2024
Dezember 2024, zwanzig Jahre nach der Tsunami-Katastrophe, Wayan blickt zurück. Schnell schwenkt er jedoch auf seine berufliche Tätigkeit um und zählt begeistert die technischen Möglichkeiten der Robotik auf, die unseren Alltag künftig noch weit mehr bereichern und erleichtern werden. Philia hat sich gesundheitlich längst erholt und arbeitet derzeit in einem Nagelstudio. Vater Irfan ist erleichtert als er nach vier Jahren vom Hafen zur Stadtverwaltung wechseln kann. Noch heute hilft er täglich mit, die unzähligen wuchernden Grünanlagen zu pflegen. Mutter Raja gelingt es, ihr Hobby Kochen in den Alltag zu integrieren. Sie trifft man heute an ihrem indonesischen Stand in einem der vielen Singapurer Food Courts.
Auf die Heimwehgefühle angesprochen, bestätigt Wayan die schwierige Zeit zu Beginn: Das hektische Leben in einer Grossstadt, in einer Mietskaserne, ohne Freunde. Das sei pickelhart gewesen. Doch zum Glück habe sich alles zum Guten gewendet.
(Schluss folgt)
17. Dezember 2024
Und – werden Irfan, Raja, Wayan und Philia je wieder nach Indonesien zurückkehren? Der Aufenthalt hier in Singapur sei gesichert, nicht zuletzt dank Fleiss und Anpassung, wie Wayan augenrollend konstatiert. Die ganze Familie habe sich mit der Existenz hier vor Ort gut arrangiert: Der tägliche Überlebenskampf entfalle, es herrschten gute Lebensbedingungen und niemanden plage die ständige Angst vor Erdbeben oder Flutwellen. So erinnert er an das zerstörerische Beben von 2013, das wiederum die Provinz Aceh hart getroffen hat. Man spürt es: Die Katastrophe in der Altjahrswoche von 2004 hat tiefe Narben in den Seelen aller Familienmitglieder hinterlassen. Nein, es werde keine Rückkehr nach Aceh geben. Das sei nach dem einzigen Besuch vor ein paar Jahren allen klar geworden. Die Heimat zu verlassen sei schmerzhaft gewesen. Die Anfangsphase in Singapur alles andere als einfach. Doch wer in einem fremdartigen Umfeld eine neue Chance erhalte, dabei Freundschaften schliesse und zufrieden sei, könne sich im Leben letztlich glücklich schätzen.
(Ende)
20. Dezember 2024
Hoppla, das waren unerwartete Zeilen auf WhatsApp, die da aus einer früheren Redaktion aufgepoppt sind: «Wie läufts in Singapur, Theo? Wir sind grad in der Planung einer Abschiedszeitung. Nun erwischt es auch Martin Moser, er wird Ende Jahr pensioniert. Meine Frage nun: Hättest du Zeit und Lust, zu diesem Geschenk etwas beizusteuern? Wäre toll, wenn das klappen würde. Merci und liebe Grüsse, Pat».
Da habe ich gerne ein paar Zeilen geschrieben. Die Konstellation war ja auch neckisch: Moser, ein waschechter Solothurner aus Deitingen, war lange im bernischen Langenthal journalistisch aktiv und mich hatte es als Langenthaler auf etlichen Umwegen nach Solothurn verschlagen. Eine verkehrte Welt, doch es funktionierte hüben wie drüben. Irgendwann landete Martin Moser im Kanton Aargau, so wie es der einst stolzen Solothurner Zeitung zuvor schon ergangen war. Dadurch blieb der Kontakt zu Martin zumindest während all den Berufsjahren bestehen. Wünsche ihm und seiner Familie auch an dieser Stelle nochmals alles Gute. Da bekanntlich jedes Ding seine Zeit hat, sage ich mal: Auf gehts, Martin.
21. Dezember 2024
So, das wärs dann - hier die letzte Eintragung 2024: In Bussen und U-Bahnen herrscht jetzt weniger ein Gedränge. Auf den Strassen hat der Verkehr etwas abgenommen. Auf ein Taxi wartet man derzeit länger, es fehlen etliche Fahrer. Des Rätsels Lösung: Die Einheimischen haben Ferien. Die Schulen der Singapurer sind bereits seit der zweiten Monatshälfte November geschlossen. Sie haben ihre langen Ferien nicht im Sommer, dies im Gegensatz zu den internationalen Schulen. Doch auch diese werden ab heute mit der Weihnachtspause beginnen. Gelegenheit für viele Expats ihre Festtage im coolen (verschneiten?) Europa oder sonst wo zu verbringen. Der Exodus Richtung Flughafen setzte bereits gestern Abend ein. Wir nix Verwandtschaft, nix weisse Pracht. Immerhin wird am Strand von Lombok bestimmt ein blinkender Plastik-Tannenbaum für ergreifende Weihnachtsstimmung sorgen. Da die Reise auf die Nachbarinsel von Bali auch nix Computer bedeutet, werde ich mich erst nach dem Jahreswechsel wieder melden. Danke schon mal für all die Feedbacks. Wünsche rundum einen flotten Rutsch und nur das Beste für 2025.